Der Märchenbrunnen im Zooviertel
– eine eingelöste Verpflichtung aus seiner Vergangenheit –
Am 13. Nov. 1897 hatte sich zur Einweihungsfeier um den Märchenbrunnen eine Festgesellschaft versammelt. Zu ihr gehörten der Oberbürgermeister der Stadt Elberfeld Jaeger, zahlreiche Stadtverordnete und andere Honoratioren inklusive Damen. Regierungsbaumeister Hermanns, der mit seinem Compagnon Riemann die Bebauung des Zooviertels plante und durchführte, hielt die Eröffnungsrede, in der er nach der Begrüßung mit den Worten fortfuhr:
„So steht nun heute, fast vier Jahre, nachdem das Modell im Rathaus gestanden hat, der Brunnen vollendet vor uns.
Der Gedanke, einen solchen Brunnen zu errichten und ihn auszuschmücken mit Darstellungen aus unseren Hauptmärchen, stammt von meinem Sozius und mir, aber wundervoll hat es der Künstler, der Bildhauer Albermann aus Köln, dem wir schon das schöne Kriegerdenkmal auf dem Königsplatz verdanken, verstanden diesen Gedanken zu verkörpern. Der Brunnen zeigt die feinfühlige, edle, keusche Auffassung, welche vereint mit vollendeter Formgestaltung und reizvoller Gruppierung alle Albermann’schen Schöpfungen auszeichnet. Ich beglückwünsche den Künstler zu dieser Leistung und spreche ihm den Dank meiner Firma aus, dem sich fraglos die ganze Stadt anschließen wird, die er um einen ferneren Schmuck bereichert hat.“
Der gewürdigte Künstler hatte zwar seinen Lebensmittelpunkt in Köln gefunden und unterhielt dort eine große, vielbeschäftigte Werkstatt, doch fühlte er sich Elberfeld sehr verbunden. Hier hatte er seine Lehrzeit verbracht, seine Frau aus einer Elberfelder Fabrikantenfamilie kennen gelernt, die mit ihren finanziellen Mitteln seinen beruflichen Anfang sehr erleichtert hatte.
Mehrere Aufträge waren ihm bereits von Elberfeld und Barmen erteilt worden. Mit der Errichtung monumentaler Brunnen in Köln hatte er sich zudem für diesen Auftrag empfohlen.
Der Märchenbrunnen hob sich von anderen Brunnen besonders noch durch seine exponierte Lage ab. Er bildete den absoluten „point de vue“ von fünf Blickachsen. Weitsichtig hatten dies die beiden Baumeister Hermanns und Riemann geplant und durch die Anpflanzung von Alleebäumen dazu betont, obgleich die unmittelbare Umgebung des Märchenbrunnens noch unbebaut war und nahezu landwirtschaftlichen Charakter zeigte.
Die erlesene Schar der Festteilnehmer konnte während der Einweihungsfeier ihren Blick schweifen lassen bis zum Nützenberg, der Bahnlinie nach Cronenberg und zum Zoogelände.
Nachdem der Oberbürgermeister die Rede von Hermanns erwidert und mit einem dreifachen Hoch auf das schöne Elberfeld seinen Worten eine Steigerung hinzugefügt hatte, „öffnete er“ – so die Zeitungsmeldung zwei Tage darauf – „die zu dem Brunnen führende Leitung, sodass den wasserspeienden Löwenköpfen das frische Nass entquoll.“ Das Wasser wurde aufgefangen durch vier Becken, die aus Schlackenmaterial geformt waren, einem Material, das aus heutiger Sicht etwas befremdlich anmutet, auch wenn seine Verwendung durchaus auf einer langen Tradition beruhte. Der übrige Baukörper bestand aus gelblichem Sandstein, die figürlichen Darstellungen aus Zinnguss.
Nachdem der Märchenbrunnen den zentralen Platz im Zooviertel eingenommen hatte, wurde er sehr schnell zu einem beliebten Motiv auf Ansichtskarten. Abgebildet wurde er in Schwarz-Weiß, koloriert, als Foto oder als Lithografie, künstlerisch verfremdet auf Glückwunschkarten, mit anderen Sehenswürdigkeiten Elberfelds zusammengestellt, monumental gesteigert, aus verschiedenen Blickwinkeln und Sichtachsen, mit und ohne Wasserstrahl aus den Speiern.
Fast unbeschadet überstand er das zwanzigste Jahrhundert, während alle anderen Schöpfungen Albermanns in Wuppertal demontiert, zerstört, verstümmelt oder verschollen sind.
Zwar wurde ihm die Wasserzufuhr genommen, verschwanden die Wasserbecken noch vor dem II. Weltkrieg, um dem Verkehr Platz zu machen, kamen die vier kleineren „humoristischen Figuren“ (Reineke Fuchs, der gestiefelte Kater, Swinegel und König Nussknacker) abhanden, doch in seinem Aufbau blieb er unangetastet. Die Jahre setzten allerdings besonders dem Sandstein zu. Die letzten restaurierenden Maßnahmen gingen auf das Jahr 1975 zurück. Gegen Ende des Jahrhunderts wurde eine Schadensfeststellung vorgenommen und ein Gutachten erstellt, die Bezirksvertretung Elberfeld-West setzte den Zustand des Märchenbrunnens auf die Tagesordnung, mehrfach berichtete die Westdeutsche Zeitung über das „Sorgenkind“. Herr HaltaufderHeide von der Unteren Denkmalbehörde sprach von einer Situation „fünf Minuten nach zwölf“.
Im Spätsommer 2006 veranstaltete der Bürgerverein gemeinsam mit der benachbarten Grundschule Donarstraße, vorneweg Schulleiterin Annegret Vogelsang, ein großes familiäres Märchenbrunnenfest, teils in historischen Kostümen an die Jahrhundertwende erinnernd, um mit allen Familien und Kindern des Viertels und weit darüber hinaus rund um den historischen Märchenbrunnen zu feiern und nochmals zu Erhalt und Restaurierung aufzurufen, auch um jeden Euro Erlös für die Restaurierung bereit zu stellen. Eine Festschrift wurde erstellt mit allen Informationen und verschiedenen Entwürfen zur Gestaltung der Brunnenbecken.
Die Grundsanierung des Denkmals Märchenbrunnen wurde gestemmt. Stadt und Land brachten die Mittel auf, doch diese reichten nicht aus, dem Brunnen seine ursprüngliche Funktion zurückzugeben.
Allerdings hatte der Oberbürgermeister Peter Jung am Märchenbrunnenfest ermutigende Worte gefunden, diese Aufgabe in Angriff zu nehmen:
„Wir wollen dem Märchenbrunnen jetzt einfach eine zweite Zukunft geben, damit nicht nur die Märchenfiguren wie Dornröschen und Aschenputtel usw., sondern auch die ältere Dame, die oben darauf sitzt, die Märchenerzählerin, noch viele, viele Jahre vor sich hat und hoffentlich noch lange hier Wahrzeichen dieses Platzes und des Zooviertels ist; …, damit er auch eines Tages wieder richtig sprudelt. Denn nicht sprudelnde Brunnen machen keinen Sinn. … Wir brauchen Brunnen, die sprudeln. Und deshalb soll auch dieser Brunnen wieder sprudeln.“
Der Bürgerverein, insbesondere der neue Vorstand unter dem Vorsitz von Dr. Udo Hindrichs, ließ sich anspornen, das Projekt weiter zu verfolgen: Intensive Recherchen zur Geschichte des Brunnens wurden unternommen, viele Gespräche geführt u.a. auch mit dem Urenkel des Figurenschöpfers W. Albermann und mit dem Kunsthistoriker Dr. W. Schmidt aus Krefeld, bis sich schließlich für Wasserführung und Becken eine Lösung herauskristallisierte, die eine gewisse Authentizität und den Charme historischer Vorbilder aufwies und mit Recht die Akzeptanz bei der Bevölkerung erwarten durfte. Favorisiert wurde die sogenannte „Römische Lösung“, weil sie die Anregung durch einen römischen Brunnen mit Muschelbecken aufgenommen hatte.
War es schon nicht einfach, unter Wahrung des vertrauten Blumenbeetes neue Wasserbecken zu entwerfen, so zeigten sich die eigentlichen Schwierigkeiten darin, die Finanzierung sicherzustellen. Zuschüsse und Spendenbeiträge der Anwohner, der Bezirksvertretung Elberfeld-West, der NRW-Stiftung, der Sparkasse u.a. reichten nicht aus, bis die Firma EDE, die sich auch sonst in Wuppertal als Sponsor verdient macht, den entscheidenden Beitrag leistete.
Unter Federführung des Architekten Martin Nakat wurde die Wiederherstellung des Brunnens erreicht. Neben der wiederhergestellten Wasserführung des Brunnens wurde ein weiterer Akzent durch die abendliche Beleuchtung gesetzt, die von Nick Evers, einem Anwohner, fachgerecht entworfen und gesponsert wurde.
Im Spätsommer 2011 nahm der Oberbürgermeister Peter Jung im Rahmen eines Märchenfestes eine zweite „Einweihung“ mit Enthüllung des Brunnens vor. Auch zu diesem Anlass gab es eine Festschrift.
Seitdem hält der Bürgerverein seine schützende Hand über den Brunnen. Besonders im ersten Jahr war dies Tag für Tag nötig, weil der Wasserabfluss Probleme bereitete. Seitdem aber läuft der Brunnen störungsfrei – zur großen Freude aller Besucher und Anwohner. Jedoch bedarf er ständiger Aufsicht und Pflege, zu der die allmonatliche Reinigung der Becken gehört. Im Spätherbst erfolgen die große Säuberung der Brunnenstube und die Vorbereitung auf den Winter. Auf Kosten des Bürgervereins erhält das Blumenrondell dann eine winterharte Bepflanzung.
Ansporn, sich um diesen Augapfel des Zooviertels zu kümmern, sind nicht zuletzt die Münzen, die sich regelmäßig in den Wasserbecken finden. Zeigen sie doch wie bei der Fontana di Trevi in Rom an, dass der Brunnen und sein Umfeld Gefallen auslösen und die lateinischen Versteile im Pflaster zu Füßen der Großmutter eine gewisse Berechtigung haben:
„Ille terrarum mihi praeter omnes angulus ridet“
(Jener Erdwinkel lacht mich mehr als alle anderen an)
Text: Reinald Schneider
Bildbearbeitung: Barbara Schneider